Ein Jahr nach der Volksabstimmung: Der Grünen-Politiker Winfried Hermann spricht darüber, wie das Referendum heute ausfallen würde. Er bezweifelt, dass die Bahn dem Projekt gewachsen ist. Die Umsetzung von Stuttgart 21 sei nun Sache der Bahn, nicht der Politik.
Der Artikel in der FAZ…
Die Volksabstimmung liegt ein Jahr zurück. Und die Bilanz eines weiteren Jahres Bautätigkeit am Stuttgarter Hauptbahnhof ist ernüchternd: technische Pannen, ein Durcheinander beim Brandschutz und nun Kostensteigerungen in ungeahnter Höhe. Glauben Sie, das Projekt hätte bei einer Volksabstimmung heute noch eine Mehrheit?
Dass die Abstimmung anders ausgegangen wäre, kann man vermuten, aber nicht belegen. Aber auch viele Befürworter sind inzwischen nachdenklich geworden. Wir haben jedenfalls schon lange vor der Volksabstimmung deutlich auf Kostenrisiken hingewiesen. Auch der Bundesrechnungshof hat das schon 2008 getan. Die Bahn hat im Vorfeld der Volksabstimmung über Kostenrisiken unzureichend informiert und neue Zahlen zurückgehalten, obwohl wir auch im Lenkungskreis mehrfach danach gefragt hatten. Es hätte wahrscheinlich schon eine Bedeutung gehabt, wenn man vor der Volksabstimmung gemeinsam gesagt hätte, der Bahnhof kostet 5,6 Milliarden Euro, und es besteht ein weiteres Kostenrisiko in Höhe von 1,2 Milliarden.
Am Mittwoch hat der Bahn-Infrastrukturvorstand Volker Kefer angedeutet, dass er ein solches Projekt wie Stuttgart 21 nicht in Auftrag gegeben hätte, wenn er vor 25 Jahren die Verantwortung gehabt hätte. Wie will die Bahn denn ein solches Projekt bauen, wenn sie selbst nicht mehr an den Sinn glaubt?
Das Projekt war von Anfang an ein politisches Projekt der früheren CDU-geführten Landesregierung und der Landeshauptstadt Stuttgart. Das hat man der Bahn durch diverse finanzielle Beiträge schmackhaft gemacht. Da die Bahn Bauherrin ist, ist die Realisierung jetzt vor allem ihr Problem. Wenn man die vielen Pannen in der letzten Zeit anschaut, kann man schon Zweifel bekommen, ob die Bahn ein solches Projekt überhaupt planen und bauen kann.
Sie wollen sagen, die Volksabstimmung, der Regierungswechsel, die Schlichtung haben das Projekt nicht verzögert …
Wenn sich die Menge des zu reinigenden und abzupumpenden Grundwassers in der Baugrube verdoppelt, hat das sicher nicht der grüne Verkehrsminister verursacht, sondern die Bahn mit ihrem großen Apparat hat offensichtlich falsch gerechnet.
Warum sagen Sie als Verkehrsminister jetzt nicht: Stopp. Schütten wir das Loch am Nordflügel einfach wieder zu. Oder lasst uns etwas anderes bauen, zum Beispiel die Kombi-Lösung?
Das kann ich nicht. Es gibt Verträge. Die Bahn ist der Bauherr, nicht ich. Der Vorstand und der Aufsichtsrat müssen nun im Rahmen ihrer Verantwortung prüfen und entscheiden, wie sie mit den schwer kalkulierbaren Kostenrisiken umgehen. Dabei spielt natürlich auch die Frage der Wirtschaftlichkeit eine Rolle. Da haben die Aufsichtsräte eine besondere aktienrechtliche Verantwortung.
Wo sehen Sie angesichts der neuen Analyse weitere Kostenrisiken?
Wenn die Bahn jetzt sagt, sie zahle 1,1 Milliarden Euro zusätzlich, dann klingt das kulant, aber eigentlich ist das eine Selbstverständlichkeit, sie hat diese Mehrkosten allein zu verantworten. Dann gibt es noch die Risiken durch externe Faktoren. Darunter versteht die Bahn Mehrkosten aus der Schlichtung oder für den Filderbahnhof. Weitere Kostenblöcke in Höhe von zusammen 500 Millionen Euro können wir bisher nicht nachvollziehen. Schließlich soll es noch circa 400 Millionen Euro Mehrkosten aus Projektverzögerungen geben. Aber gleichgültig, woher diese Kosten kommen und ob sie überhaupt belegbar sind, wir als Land sagen: Der Kostendeckel in Höhe von 4,526 Milliarden Euro gilt, egal, was die Bahn rechnet.
Warum wollen Sie sich nicht an den Kosten der Schlichtung beteiligen?
Selbstverständlich sind wir bereit, uns an den Kosten der Schlichtung zu beteiligen, aber innerhalb des Kostenrahmens von 4,526 Milliarden Euro. Öffentlich hat die Bahn gesagt, sie erkenne die zusätzlichen Schlichtungskosten an, will sie aber jetzt allein den Projektpartnern anlasten. Das akzeptieren wir nicht. Der Brandschutz ist kein Sonderwunsch der Landesregierung, die Bahn muss Bahnhöfe bauen, die genehmigungsfähig sind.
In der Frage von weiteren Kostenbeiträgen des Landes ist die Koalition uneins. Die Grünen wollen kategorisch keinen Cent geben, die SPD will einen vernünftigen Filderbahnhof bauen.
Wir sind uns einig, dass der Kostendeckel gilt und das Land seinen Beitrag von 930 Millionen Euro nicht erhöhen wird. Wenn die Bahn von uns mehr Geld will, muss sie klagen. Wir sind da rechtlich auf sicherem Boden. Sollte die Bahn von der Sprechklausel Gebrauch machen, reden wir natürlich, aber die Entscheidung fällt dann vor Gericht. Wir haben das selbstverständlich prüfen lassen, man kann aus einer freiwilligen Schenkung in Höhe von 930 Millionen Euro nicht noch weitere Zahlungen ableiten. Lediglich beim Filderbahnhof vertritt die SPD vereinzelt eine andere Meinung als wir. Die Einhaltung des Kostendeckels war aber auch eine deutlich angesagte Prämisse beim Filderdialog. Die Projektpartner haben insoweit vereinbart, dass spätestens im Lenkungskreis eine Entscheidung über die Umsetzung der Variante getroffen werden muss.
Von Seiten der Bahn wird Ihnen vorgeworfen, der Projektförderpflicht nicht nachzukommen, den Bau an jeder erdenklichen Stelle zu behindern.
Der Vorwurf ist lächerlich, wir achten peinlich genau darauf, alle Verpflichtungen zu erfüllen. Wenn man sich die bekannten Verzögerungen und ihre Ursachen anschaut, stellt sich schnell heraus, dass diese im Verantwortungsbereich der Bahn liegen. Oft sind bei Planänderungen die Antragsunterlagen unvollständig. In einem Planänderungsverfahren wurden zum Beispiel Umweltbelange nicht hinreichend berücksichtigt und Umweltverbände nicht einbezogen, weshalb der Verwaltungsgerichtshof den Weiterbau gestoppt hat. Dies kann sicher nicht der Landesregierung angelastet werden. Gemessen an der Vielzahl der Beschäftigten der Bahn, arbeiten wir mit einem kleinen Referat richtig exzellent. Wenn die Deutsche Bahn hier konkrete Vorwürfe erhebt, was sie bisher nicht getan hat, werden wir Punkt für Punkt belegen, dass wir effizient und nach Recht und Gesetz arbeiten.
Die Fragen stellte Rüdiger Soldt.