Grüne Position zur geplanten Neuregelung von Flugbetriebszeiten in der Nacht
Autor: admin | Kategorie: LuftSchutz der Nachtruhe geht vor Nachtflug
Zur geplanten Änderung des Luftverkehrsgesetzes
Ruhiger Schlaf in der Nacht ist erholsam, fördert die Gesundheit und das Wohlbefinden. Seit Jahren nimmt die Zahl der Flugbewegungen an den großen Verkehrsflughäfen am Tag und vielerorts auch in der Nacht drastisch zu. Jüngere Studien zeigen deutlich erhebliche Belästigungen bis zu gesundheitlichen Auswirkungen durch nächtlichen Fluglärm. Der Schutz der Nachtruhe vor Lärm ist eine der zentralen Aufgaben der Lärmschutzpolitik. Gerade an großen Verkehrsflughäfen mit Nachtflugbetrieb sind die Anwohner durch Fluglärm in der Nacht sehr belastet. An vielen Standorten kommt es daher zu Auseinandersetzungen um die in der Nacht zulässigen Flugbewegungen. Dabei geraten Wirtschaftlichkeitsinteressen nach möglichst ununterbrochener Nutzung von Infrastruktur und Fluggerät mit den Bedürfnissen der Anwohner nach angemessener Ruhe während der Nachtzeit in Konflikt. In der Regel haben Richter bisher diesen Konflikt entschieden und dabei oft Kompromisse gefunden. Auch die Novelle des Fluglärmgesetzes mit der passiver Schallschutz an Flughäfen neu geregelt worden ist, hat diesen Umstand nicht wirklich geändert.
Rechtsgrundlagen
Der Bund ist für die Betriebsregelungen etwa in der Nacht nicht zuständig, sondern die jeweiligen Landesbehörden. Nach den geltenden Rechtsgrundlagen (Luftverkehrsgesetz, LuftVG) muss die zuständige Landesbehörde im Rahmen der Planfeststellung zur Genehmigung eines Flughafens oder eines Ausbauvorhabens öffentliche und private Belange (beispielsweise Lärmschutz) berücksichtigen und miteinander abwägen (§ 8 Abs. 1 LuftVG). Sämtliche betrieblichen Regelungen – wie ein Nachtflugverbot oder eine Einschränkung des nächtlichen Flugverkehrs – sind Teil der Planfeststellung. Bisher schreibt das Luftverkehrsgesetz fest, dass beim Nachtflugbetrieb der Lärm auf ein Mindestmaß zu beschränken und die Bevölkerung vor erheblichen Belästigungen zu schützen sei. Im § 29b heißt es konkret: „Auf die Nachtruhe der Bevölkerung ist in besonderem Maß Rücksicht zu nehmen.“
Im Grundsatz soll Nachtflug so weit wie möglich vermieden werden. Unvermeidbarer Fluglärm in der Nacht muss mit lärmmindernden Maßnahmen im Betriebsablauf (Bonuslisten, etwa Zulassung nur bestimmter lärmärmere Flugzeuge) und bauliche Schallschutzvorkehrungen soweit reduziert werden, dass die Auswirkungen auf die Nachtruhe der Bevölkerung so stark wie möglich minimiert werden.
Richter entscheiden pro Nachtruhe
In mehreren jüngeren Entscheidungen hat das Bundesverwaltungsgericht für das Gebot, die Nachtruhe zu berücksichtigen, jene Vorrausetzungen konkretisiert, die vorliegen müssen, damit Nachtflug zugelassen werden kann. Demnach ist ein Nachtflugbetrieb in der Nachtkernzeit von Mitternacht bis fünf Uhr nur dann zulässig, wenn ein standortspezifischer Nachtflugbedarf für den jeweiligen Flughafen besteht (BVerwG, Urteil vom 24.7.2008, 4 A 3001/07 zu Leipzig/ Halle). In den Nachtrandstunden bedarf es zwar nicht eines standortspezifischen Bedarfs, aber einer gesonderten sachlichen Rechtfertigung (etwa Verspätungsregelungen, Fracht- und Sonderverkehr).
Für den „standortspezifischen Bedarf“ muss nachgewiesen werden, dass ein bestimmter Verkehrsbedarf oder ein bestimmtes Verkehrssegment nicht innerhalb der Tagesstunden abgewickelt werden kann. Der Verkehrsbedarf muss umso dringlicher sein, je höher die Zahl der Lärmbetroffenen ist (BVerwG, Urteil vom 16.3.2006 zu Berlin- Schönefeld). So hat das Bundesverwaltungsgericht für Leipzig/Halle einen standortspezifischen Bedarf für nächtlichen Frachtumschlag anerkannt und daher Nachtflüge in der Nachtkernzeit für Expressfracht erlaubt (BVerwG, Urteil vom 9.11.2006). Passagierflüge sind dafür an diesem Standort nur in den Nachtrandstunden zugelassen.
Was wollen Luftverkehrswirtschaft und Koalition?
In einem Positionspapier vom Januar 2009 führt die Arbeitsgemeinschaft Deutscher Verkehrsflughäfen (ADV) an, dass der an hiesigen Flughäfen strenge Fluglärmschutz in der Nacht keine international wettbewerbsfähigen Betriebszeiten zulässt. Der ADV regt an, durch Veränderungen der Vorgaben im Luftverkehrsgesetz die von der Rechtsprechung entwickelten strengen Voraussetzungen für die Genehmigung der Nachtflüge in Zukunft zu lockern. Insbesondere wird die restriktive Handhabung von Nachtflügen durch die Gerichte in Anwendung des § 29 b Abs. 1 Satz 2 LuftVG beklagt.
Die Koalition greift dieses Anliegen im Koalitionsvertrag von CDU/CSU und FDP für die aktuelle Legislaturperiode auf. Zitat: „Wir werden uns für einen koordinierten Ausbau der Flughafeninfrastruktur einsetzen. Neben einer Kapazitätsentwicklung der Flughäfen werden wir insbesondere international wettbewerbsfähige Betriebszeiten sicherstellen. Die dazu erforderliche Präzisierung im Luftverkehrsgesetz soll eine gleichberechtigte und konsequente Nachhaltigkeitsabwägung von wirtschaftlichen, betrieblichen und dem Lärmschutz geschuldeten Erfordernissen auch bei Nachtflügen sicherstellen.“ Vertreter der Fluglärmbetroffenen befürchten seitdem, dass durch Veränderungen dieser Vorgaben im Luftverkehrsgesetz, jene von der Rechtsprechung entwickelten strengen Voraussetzungen für die Genehmigung der Nachtflüge in Zukunft nicht mehr angewandt werden müssen.
Was wären die Folgen?
Nach Auffassung von Experten zielt eine Änderung der gesetzlichen Vorgaben darauf ab, eine Begrenzung bzw. Reduzierung von Nachtflugbewegungen deutlich zu erschweren. Mit einer derartig geänderten Regelung im § 29b des Luftverkehrsgesetzes würde den Genehmigungsbehörden und Gerichten wenig Entscheidungsspielraum für nächtliche Betriebsbeschränkungen bleiben.
Auf unsere schriftliche Anfrage an das Verkehrsministerium Ende vergangenen Jahres teilte uns das Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (BMVBS) mit, derzeit die Frage nach einer geplanten Änderung des Luftverkehrsgesetzes noch nicht abschließend beantworten zu können. Überdies sei die Entscheidung über die Einschränkung oder Ausdehnung von Betriebszeiten an Flughäfen Sache der Genehmigungsbehörden der Länder.
Bisher sind vom federführenden BMVBS noch keine konkreten Vorschläge zur Änderung des § 29b Luftverkehrsgesetz von der Bundesregierung vorgelegt worden. Gleichwohl wird inzwischen für Juni 2010 eine Referentenentwurf zur Änderung des Luftverkehrsgesetzes angekündigt.
Grünes Fachgespräch
Bei einem Fachgespräch der grünen Bundestagsfraktion am 27. April 2010 mit Vertretern aller beteiligten Interessengruppen war das geladene BMVBS leider nicht vertreten. Auch die Airlines haben ihre Teilnahme kurzfristig abgesagt. Der Vertreter des ADV Bartel führte zur Überraschung aller aus, der Verband würde von der Änderung des § 29b Abstand genommen haben und nunmehr an einer Beibehaltung des Status quo interessiert. Rechtsanwältin Phillip-Gerlach, die Fluglärmbetroffene vertritt, berichtete von zahlreichen Erkrankten und würdigte die richterlichen Entscheidungen der letzten Jahre für einen stärkeren Schutz der Nachtruhe. Auch führte sie aus, dass das neue Fluglärmgesetz die Betroffenen zu wenig schützt und zu spät entschädigt.
Der Vertreter des BVF Breidenbach sah ähnlich dem Vertreter der Deutschen Fluglärmkommissionen Jühe ein faires Abwägen zwischen wirtschaftlichen und Anwohnerinteressen etwa bei der Novelle des Fluglärmgesetzes nicht sichergestellt. So wurde das Fluglärmgesetz deutlich zugunsten der Flughäfen novelliert. Überdies fordert er konkrete gesetzliche Vorgaben zu aktivem Schallschutz, da der passive Schallschutz die Konflikte nicht lösen könne. Der grüne Verkehrsexperte Becker plädierte dafür, bei der Abwägung nicht beide Güter (Wirtschaft versus Gesundheit) als gleichwertig behandeln zu können. Wir Grünen meinen ganz in diesem Sinne: Schutz vor gesundheitlichen Beeinträchtigungen und Gesundheit sind höhere Güter als Wettbewerbsinteressen. Daher muss dem Schutz vor Nachtfluglärm Priorität eingeräumt werden.
Unsere Forderungen
Wir werden alle uns zur Verfügung stehenden Möglichkeiten nutzen, eine Verschlechterung der Rechtslage für die Lärmbetroffenen zu verhindern. Wir sehen die befürchtete Änderung des Luftverkehrsgesetztes mit großer Skepsis. Wir werden sicherstellen, dass der vom grünen Verkehrsexperten Winfried Hermann geführte Verkehrsausschuss des Deutschen Bundestages die Vorlagen aus dem Verkehrsministerium in einer Anhörung unter Beteiligung der Öffentlichkeit diskutiert.
Für einen besseren Schutz der Nachtruhe fordern wir schon seit der Novelle des Fluglärmgesetzes:
- Strengerer Grenzwerte für die Nacht
- Wissenschaftliche Studien über die Konsequenzen von Nachtflügen für die Gesundheit der Anwohner
- Beibehaltung der Einschränkungen im Nachtflug in Frankfurt
- Instrumentenmix aus aktivem und passivem Lärmschutz (Anwendung des „balanced approach“ aus der Betriebsbeschränkungs-RL)
- Prüfung anderer Instrumente, wie Lärmkontingente etc.
Dass die Lärmschutzinteressen der Anwohnerinnen und Anwohner Vorrang vor den rein betriebswirtschaftlichen Interessen haben, haben wir beispielsweise durch die Kritik an der Schallschutzverordnung zum Fluglärmschutzgesetz deutlich gemacht. Denn mit dieser noch unter der großen Koalition verabschiedeten Verordnung wird das Schutzniveau deutlich abgeschwächt.
Wie der Schutz vor Fluglärm systematisch ausgehöhlt wird, haben wir in einem weiteren Artikel dokumentiert.
Die grüne Position
Wir treten für die Einführung einer Kerosinsteuer, die Abschaffung der Mehrwertsteuerbefreiung für Auslandsflüge sowie eine wirkungsvolle Einbeziehung des Flugverkehrs in den Emissionshandel ein. Unsere detaillierte Positionierung in dieser Frage können Sie dem Beschluss unserer Fraktion Luftverkehr in Zeiten des Klimawandels entnehmen.
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