The European: Winfried Hermann – Basisdemokratie in Stuttgart
Autor: admin | Kategorie: Medienresonanz, persönliche Erklärungen, Stuttgart 21Lug und Trug
Stuttgart 21 wurde mit Lug und Trug durch die Gremien geboxt. Dass die Menschen jetzt protestieren, ist verständlich. Die Gegner sind aber keine blinden Träumer: Seit Jahren prangern sie die Nachteile des Projekts an. Dass Deutschland jetzt zuhört, ist ein erster Erfolg.
Stuttgart 21 ist – formal gesehen und vordergründig – demokratisch beschlossen worden. Doch keinem Parlament lag bei den Beschlüssen die Wirtschaftlichkeitsrechnung der Deutschen Bahn AG vor. Diese wird bis heute unter Verschluss gehalten. Ich habe selber mehrfach das Verkehrsministerium angefragt und immer folgende Auskunft bekommen: Als Projekt der Deutschen Bahn AG unterliegt es dem Betriebsgeheimnis. Hinzu kommt, dass die wahren Kosten nie auf dem Tisch lagen. Insofern muss man sagen, dass die Geschäftsgrundlage der Beschlüsse null und nichtig ist.
Die Abnickkultur ist am Ende
Man könnte auch sagen, die Beschlüsse sind auf Grundlage von Lug und Trug von den Parlamenten abgenickt worden. Man muss allerdings auch sagen, dass die Parlamente in ihrer Mehrheit gar nicht willens waren nachzufragen. SPD, CDU und FDP waren immer dafür und haben nie nach den tatsächlichen Kosten gefragt. Und einige der erforderlichen Planfeststellungsverfahren sind noch nicht einmal abgeschlossen. Wer so viel Wert auf Formalien legt, der kann nicht das Verfahren mit den Füßen treten und sagen: “Egal, was dabei herauskommt. Wir fangen schon einmal an zu bauen.” Dass der Widerstand dann wächst, ist normal. Die Proteste haben bereits Wirkung gezeigt. Lange Zeit hat sich niemand außerhalb Stuttgarts für das Projekt interessiert, jetzt sind die Medien voll von Meldungen.
Das Angebot von Herrn Mappus ist allerdings völlig unzureichend. Es kann nicht sein, dass die Seite der Befürworter sagt, es gibt keinen Bau- und keinen Vergabestopp und dass auch das Projekt als solches nicht diskutiert wird. Das können wir natürlich niemals akzeptieren. Es wird nicht reichen, über die grüne und ökologische Ausgestaltung der frei werdenden Flächen bei Stuttgart 21 zu reden. Ein Schlichtungsverfahren ist schließlich kein Kaffeekränzchen. Solange sich an dieser Position von Ministerpräsident Mappus und DB-Chef Grube nichts ändert, wird auch Herr Geißler nichts vermitteln können.
Der Widerstand ist basisdemokratisch im besten Sinne. Die Bevölkerungsmehrheit von Stuttgart hat sich inzwischen klar gegen das Projekt gestellt, davon geben die Bürgerinitiativen ein Zeugnis. Die Rufe der Demonstranten müssen gehört werden. Das muss Herr Mappus einsehen.
Gelebte Basisdemokratie
Das Zugeständnis der Landesregierung, den Südflügel jetzt nicht abzureißen und keine weiteren Bäume abzuholzen, ist kein echtes Zugeständnis an die Protestierenden. Die Grünen werden alles tun, damit es nicht so weit kommt, dass das Projekt in sechs Monaten nicht mehr umkehrbar ist. Deswegen sind uns die Gespräche auch wichtig. Wir wollen nicht, dass am Schluss Tatsachen geschaffen werden, die den Ausstieg immer teurer machen. Der Ausstieg wird auch noch in einem halben Jahr möglich sein. In einem halben Jahr sind noch keine Tunnel gebohrt und das Loch ist noch nicht gegraben.
Es ist auch nicht zutreffend, wenn den Grünen – vor allem auf Bundesebene – jetzt Populismus vorgeworfen wird. Die Grünen sind schon seit vielen Jahren Teil dieses Prozesses. Im Stadtrat waren wir die einzige Partei, die schon 2007 für einen Bürgerentscheid gestimmt hat. Wir haben uns nicht jetzt zu Zeiten medialer Aufmerksamkeit engagiert, sondern wir waren über viele Jahre immer initiativ und Teil des Bündnisses. Deswegen sind wir heute dort bei den Menschen anerkannt als jahrelanger verlässlicher Partner. Wir haben das Projekt schon bekämpft, als es noch gar nicht populär war.
von Winfried Hermann – 12.10.2010