Protokollrede Winfried Hermann MdB zu TOP 21, Stuttgart 21
Autor: admin | Kategorie: Reden, Stuttgart 21Beratung der Anträge
17/2933, SPD Fraktion: Kein Weiterbau von Stuttgart 21 bis zur Volksabstimmung, 17/2914, Fraktion Die Linke: Stuttgart 21, Neubaustrecke Wendlingen-Ulm und das Sparpaket der Bundesregierung, Fraktion Bündnis 90/Die Grünen: 17/2893, Sofortiger Baustopp für Stuttgart 21 und die Neubaustrecke Wendlingen-Ulm und 17/5041 Transparenter Stresstest für die Leistungsfähigkeit des Bahnprojekt Stuttgart 21“
Sehr geehrte Damen und Herren,
in der heutigen Debatte zum Umbau des Stuttgarter Hauptbahnhofs reden wir zunächst über drei Oppositionsanträge aus dem September 2010, die sich alle, wenn auch mit unterschiedlicher Stoßrichtung, für einen sofortigen Baustopp des Projektes Stuttgart 21 und mehr Beteiligung und Mitbestimmung der Bürgerinnen und Bürger einsetzen. Darüber hinaus diskutieren wir einen aktuellen Antrag meiner Fraktion für einen transparenten Stresstest zur Leistungsfähigkeit des unterirdischen Bahnprojektes Stuttgart 21.
Anlass für die Anträge aus dem September letzten Jahres waren die monatelangen Proteste und Großkundgebungen der Gegner des Projektes, die seit dem Abriss des Nordflügels des Stuttgarter Hauptbahnhofs täglich zu Tausenden kreativ und friedlich gegen Stuttgart 21 demonstrierten. Sie stammen also aus einer Zeit, bevor die baden-württembergische Landesregierung am 30. September 2010 versuchte, mit einem unverhältnismäßig harten Polizeieinsatz das Projekt gewaltsam durchzusetzen, was zur Eskalation der Situation führte. Hunderte Menschen, die in Stuttgart friedlich im Park gegen die Baumfällarbeiten der Deutschen Bahn AG demonstrierten, wurden verletzt. Die politische Verantwortung dafür tragen der Ministerpräsident Mappus und der Innenminister Rech, nicht der Polizeipräsident, der trägt seine eigene Verantwortung als Polizeichef.
Erst dieser Eklat, der in eine bundesweite Diskussion über die unzureichenden Beteiligung der Öffentlichkeit bei Großprojekten und die Durchsetzung solcher Projekte gegen massiven Widerstand aus breiten Schichten der Bevölkerung mündete, führte dazu, dass Gegner und Befürworter des Projektes sich an einer Art runden Tisch unter Leitung von Heiner Geißler zur sogenannten Faktenschlichtung trafen. Das führte zur Versachlichung der Diskussion und dazu, dass endlich deutlich mehr – allerdings noch längst nicht alle Fakten – auf den Tisch kamen, als sie den Parlamenten in Stadt, Land und auf Bundesebene zuvor je zugänglich gemacht wurden. Doch ein entscheidender Akteur saß nicht mit am Tisch. Der Bund bzw. das Bundesverkehrsministerium hielt sich fein raus. Warum eigentlich?!
Und das obwohl der Bund der Hauptzahler für den Umbau des Bahnknotens Stuttgart 21 und für die Neubaustrecke Wendlingen-Ulm ist. Dies war ein großer Mangel des Verfahrens, denn so fanden seine Interessen keinen Eingang in das Schlichtungsergebnis. Die Konsequenzen für den Bundeshaushalt insbesondere bei der Neubaustrecke Wendlingen-Ulm, die bereits heute eine Deckungslücke von 865 Mio. Euro aufweist, wurden nicht berücksichtigt, obwohl Stuttgart 21 ohne die Neubaustrecke des Bundes gar nicht funktioniert, sondern ohne Schienenanschluss im Nichts stehen würde.
Dabei ist das Schlichtungsergebnis für Stuttgart 21 vernichtend gewesen und der Bund als Eigentümer der DB AG und verantwortliche Instanz für den Aus- und Neubau des bundeseigenen Schienennetzes hätte davon höchst alarmiert sein müssen, insbesondere was die Wirtschaftlichkeit des Projektes betrifft. Denn der zentrale Satz im Schlichterspruch von Heiner Geißler lautete „Ich kann den Bau des Tiefbahnhofs nur befürworten, wenn entscheidende Verbesserungen vorgenommen werden“.
Mit anderen Worten, Stuttgart 21 in seiner alten Form ist tot. Es weist eklatante Mängel im Betriebskonzept aus und der geplante unterirdische Engpass könnte nur durch erhebliche, teure Nachbesserungen beseitigt werden. Damit sind neue Planfeststellungsverfahren nötig, die einen erheblichen Zeitverzug und massive Kostensteigerungen bedeuten.
Dies bestätigt unser Misstrauen und die Forderung unseres Antrages vom September 2010. Ein Baustopp ist solange zwingend erforderlich, bis die Wirtschaftlichkeit und Leistungsfähigkeit von Stuttgart 21 überprüft wurde. Erst danach kann eine Entscheidung über das Projekt endgültig gefällt werden.
Doch wie sieht nun diese Überprüfung von Stuttgart 21 nach der Faktenschlichtung in Stuttgart aus?
Heiner Geißler hatte in seinem Schlichterspruch sehr deutlich gemacht hat, dass der unterirdischen Tunnelbahnhof nur als Stuttgart 21 plus funktioniert. Deshalb forderte er u.a. die Erweiterung des Bahnhofs von ursprünglich 8 geplanten Gleisen auf 10 Gleise sowie zahlreiche zusätzliche Baumaßnahmen an den Zulaufstrecken und er forderte, dass die DB AG im Rahmen einer Belastungssimulation eines sogenannten Stresstestes den Nachweis erbringen müsse, dass Stuttgart 21 überhaupt in der Lage ist in Spitzenbelastungszeiten die behaupteten 30 Prozent mehr an Kapazität gegenüber dem bestehenden Kopfbahnhof zu erbringen.
Trotzdem behaupteten DB AG sowie das Land und seine Partner schon unmittelbar nach der Schlichtung, die von Geißler geforderten Nachbesserungen seien gar nicht notwendig. Der Stresstest werde ergeben, dass man so verfahren könne wie ursprünglich geplant.
Das ist ja an sich schon bezeichnend, weil damit quasi das Ergebnis schon vorher feststeht und man den vielgelobten Schlichter Heiner Geißler Lügen straft, bevor der Stresstest überhaupt vollzogen wurde. Verwunderlich ist es jedoch nicht, wenn man weiß, dass die DB AG den Stresstest hinter verschlossen Türen durchführt und weder unabhängige Experten noch Kritiker des Aktionsbündnisses daran beteiligt werden sollen. Bei Stuttgart 21 soll genauso verfahren werden wie in den Jahren zuvor. Die DB AG präsentiert Ergebnisse, die auf Zahlen, Daten und Fakten basieren, die nur der DB AG zugänglich sind und die der Eigentümer Bund und im Falle von Stuttgart 21 auch die übrigen Projektpartner dann so glauben müssen. Die angebotene Einsicht im Nachhinein ist keine echte Kontrolle, weil man nicht weiß was an Daten eingegeben wurde.Die öffentliche Kontrolle unterbleibt, obwohl maßgeblich die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler für die Risiken und die damit verbundenen Kostensteigerungen aufkommen müssen. Stattdessen werden die Bürgerinnen und Bürger erneut damit abgespeist, dass das Projekt durch parlamentarische Beschlüsse legitimiert sei, obwohl diese auf der Grundlage fragwürdiger Informationen bzw. besser gesagt Nichtinformationen zustande gekommen sind.
Das ist für uns in höchstem Maße unglaubwürdig und darauf wollten wir uns verlassen. Schließlich mussten wir in den letzten Jahren seit Gründung der DB-Aktiengesellschaft schon viele schlechte Erfahrungen mit der Informationspolitik des DB-Konzerns sammeln. Deshalb hat die grüne Landtagsfraktion in den letzten Wochen einen eigene Studie zur Leistungsfähigkeit für Stuttgart 21 in Auftrag gegeben. Und das Ergebnis ist dramatischer als befürchtet. Stuttgart 21 erbringt nur dann die Leistung, die der unsanierte Kopfbahnhof bereits heute erbringen kann, wenn alle von Heiner Geißler aufgestellten Nachbesserungen vorgenommen werden, also das sogenannte Stuttgart 21 plus vollständig umgesetzt wird.
DB AG und das Land wollen also gegen allen gesunden Menschenverstand Milliarden sinnlos verschleudern für ein Projekt, das nichts Anderes kann als der alte Bahnhof, nur damit dieser unter der Erde verschwindet. Und der Bund schaut tatenlos zu.
Und was sind die Konsequenzen? Es werden auf Jahrzehnte große Teile der Haushaltsmittel für den Schienenausbau für ein sinnloses Doppelprojekt verschwendet. Sie liebe Regierungskoalitionäre nehmen damit wider besseren Wissens in Kauf, dass der Ausbau von Projekten mit immenser verkehrlicher und volkswirtschaftlicher Bedeutung wie z.B. der Ausbau der Hafenhinterlandstrecken von den Nordseehäfen in Richtung Südeuropa deshalb aufgeschoben werden muss. Für die Folgen, nämlich dass die Güter dort nicht rechtzeitig auf die klimafreundlichen Schiene verlagert werden können und ab 2017 vor dem dann hervorragend ausgebauten Gotthardtunnel in der Schweiz im Stau stecken bleiben, sind Sie voll verantwortlich. Ebenso voll verantwortlich sind Sie dafür, wenn der erst vor wenigen Tagen hier im Hause versprochene anwohnerfreundliche Ausbau der Rheintalbahn sich noch um Jahrzehnte verzögert, weil die Mittel sinnlos vergraben werden.
Das ist skandalös und verantwortungslos! Und deshalb kann ich Ihnen nur zurufen: Kommen Sie endlich zur Vernunft und stoppen Sie dieses unsägliche Projekt! Investieren wir in einen zukunftsfähigen Schienenverkehr in Baden-Württemberg und in der ganzen Republik.
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