Keine Einigung über Regionalisierungsgesetz: Bundesrat ruft Vermittlungsausschuss an

Keine Einigung über Regionalisierungsgesetz: Bundesrat ruft Vermittlungsausschuss an

27.03.2015 – Länder und Gewerkschaften fordern vom Bund eine auskömmliche und verlässliche Finanzausstattung für den Schienenpersonennahverkehr. Im Beratungsverfahren wurde kein Konsens zum Gesetzesentwurf gefunden. Die Länderkammer wird daher mit großer Wahrscheinlichkeit den Vermittlungsausschuss anrufen.

Gemeinsam mit Verkehrsunternehmen und Gewerkschaften fordern die Bundesländer einstimmig eine verlässliche und auskömmliche Finanzausstattung des Schienenpersonennahverkehrs (SPNV). Vertreter aus Baden-Württemberg, Niedersachsen und Schleswig-Holstein sowie der Dienstleistungsgewerkschaft ver.di forderten am Freitag, 27. März auf einer gemeinsamen Pressekonferenz in Berlin von der Bundesregierung eine rasche Entscheidung und eine deutliche Anhebung der Regionalisierungsmittel. Mit diesen Mitteln bestellen und bezahlen die Länder seit der Bahnreform 1996 den Schienenpersonennahverkehr.

Der baden-württembergische Verkehrsminister Winfried Hermann sagte: „Bereits in diesem Jahr muss Baden-Württemberg rund 100 Mio. Euro drauflegen, damit es nicht zu Streichungen von Nahverkehrszügen im Land kommt. Besonders belastend sind die ständig steigenden Trassengebühren, die an die DB Netz zu entrichten sind.  Angesichts zu geringer Mittel und langlaufender Verträge mit Verkehrsunternehmen ist es eine Zumutung, dass der Bundesfinanzminister seit Jahren eine Novellierung des Regionalisierungsgesetzes verhindert. Seit Jahren ist klar, dass die in Artikel 106 a des Grundgesetzes abgesicherte Finanzierungsregelung für die Jahre 2015 folgende erneuert werden muss. Mit dem verspäteten Gesetzesentwurf des Bundes wird die überfällige Entscheidung lediglich um ein Jahr geschoben zu Lasten der Nahverkehrskunden in die Bund-Länder-Finanzverhandlungen. Die Verträge und die Ausschreibungen über 10-15 Jahre laufen aber jetzt.“

Den einstimmig verabschiedeten Gesetzesentwurf der Länder zur Finanzierung des SPNV (Drucksache 18/3563) hatte der Bund abgelehnt und einen eigenen Gesetzentwurf (Drucksache 18/3785) beschlossen. Trotz großer Einigkeit über den höheren Mittelbedarf in den Ländern und weitgehender Zustimmung der Experten zum Gesetzent-wurf der Länder hält der Bund an seinem Entwurf fest. Im Beratungsverfahren zu den Gesetzentwürfen des Bundesrates und der Bundesregierung wurde der Dissens zwischen Bund und Ländern über das zustimmungspflichtige Gesetz nicht aufgelöst. Die Länderkammer ruft daher am 27. März 2015 voraussichtlich mit großer Mehrheit den Vermittlungsausschuss an. Damit wird zum ersten Mal in dieser Legislaturperiode die Schlichtungsstelle zwischen Bund und Ländern angerufen.

Der Entwurf des Bundes sieht lediglich die Verlängerung des Gesetzes um ein Jahr auf dem nicht auskömmlichen Mittel-Niveau von 2014 und eine mit 1,5 Prozent unzureichende Dynamisierung vor. Wie danach der Schienenpersonennahverkehr durch die Länder finanziert werden soll, bleibt jedoch unklar. Dabei benötigen die Länder dringend Planungssicherheit, um langjährige Verträge mit den Verkehrsunternehmen im Schienenpersonennahverkehr abschließen zu können. Ansonsten drohen im großen Umfang Abbestellungen von Zügen und eine Ausdünnung im SPNV.

Minister Hermann betonte: „Ein weiterer Ausbau des umwelt- und klimafreundlichen Nahverkehrs auf der Schiene wird durch die Haltung des Bundes derzeit verhindert. Auch sind die Mittel schon lange nicht mehr auskömmlich und müssen dringend entsprechend den gestiegenen Kosten angepasst werden.“

Schleswig-Holsteins Verkehrs-Staatssekretär Dr. Frank Nägele mahnte den Bund ebenfalls zur Eile: „Keines der Länder kann sich erlauben, dieses Problem auf die lange Bank zu schieben. Deshalb war und ist die Anrufung des Vermittlungsausschusses der einzige verbleibende Weg, doch noch rasch eine Einigung herbeizuführen.“

NRW-Verkehrsminister Michael Groschek, der wegen des Flugzeugabsturzes seine Teilnahme in Berlin absagen musste, übermittelte: „Tagtäglich erleben wir, dass unsere Regional- und Nahverkehrszüge in der Rushhour ihre Kapazitätsgrenzen weit über-schreiten. Die Zahl der Berufspendler wächst stetig. Alle Bundesländer sind sich einig: Wir müssen und wollen dieser Realität Rechnung tragen. Der Bund muss sich einen Ruck geben und deutlich mehr Mittel bereitstellen. Die Fahrgäste dürfen nicht zur Geisel der Bund-Länder-Finanzverhandlungen werden. Die Aufgabenträger brauchen jetzt eine Perspektive, damit sie ein bedarfsgerechtes, leistungsfähiges Verkehrsangebot auf der Schiene sicherstellen können.“

Der Verkehrsminister Niedersachsens Olaf Lies führte aus: „Wir brauchen jetzt eine angemessene und langfristige Ausstattung für den Nahverkehr. Nur so können die Länder der vom Bund ihnen übertragenen Aufgabe für die Daseinsvorsorge nachkommen. Insofern hilft es niemandem, wenn irgendwann einmal eine Lösung im Rahmen der Bund-Länder-Finanzbeziehungen gefunden werden sollte. Dann wird es mit Sicherheit in einigen Ländern bereits die ersten Abbestellungen im SPNV gegeben haben. Der Bund muss daher die Dringlichkeit endlich erkennen und entsprechend handeln. Der Bedarf ist jedenfalls gutachterlich klar nachgewiesen worden.“

Frank Bsirske sagte: „Mit dem Gesetzentwurf der Bundesregierung verschärft sich die Unterfinanzierung des öffentlichen Nahverkehrs. Wir befürchten, dass die aktuelle finanzielle Unsicherheit zu einer massiven Einschränkung der Verkehrsangebote in Kürze führen wird und damit Arbeitsplätze gefährdet sind. Die 500.000 Beschäftigten des ÖPNV erwarten von der Bundesregierung eine Erhöhung der Regionalisierungsmittel gegenüber den bisherigen Vorschlägen und eine langfristige und zweckgebundene Anschlussregelung für die Finanzierung der Gemeindeverkehre in Höhe von mindestens 2 Mrd. Euro pro Jahr. Es muss jetzt gehandelt werden. Daher unterstützen wir den Bundesrat in seiner Forderung.“

Hintergrund:

Die Regionalisierungsmittel sind eine unverzichtbare Säule zur Finanzierung des Schienenpersonennahverkehrs (SPNV). Die horizontale Verteilung der Regionalisierungsmittel auf die Bundesländer basiert auf den Zugkilometern im SPNV im Fahrplanjahr 1993/94 und ist seit Inkrafttreten des Regionalisierungsgesetzes im Jahr 1996 nahezu unverändert.

Der am 28.11. 2014 einstimmig beschlossene Gesetzentwurf des Bundesrates ist auf 15 Jahre angelegt und sieht eine Erhöhung der Regionalisierungsmittel von derzeit 7,3 Mrd. Euro auf rund 8,5 Mrd. Euro pro Jahr vor. Dies würde im Nachhinein die bisherigen, nicht kompensierten Preissteigerungen abgelten. Zudem müssten künftige Kostensteigerungen durch eine Dynamisierungsrate von bis zu 2 Prozent abgedeckt und darüber hinaus gehende Preissteigerungen bei der Infrastruktur durch den Bund übernommen werden.

Demgegenüber hat der Bund einen Gesetzentwurf ins Verfahren gebracht, der lediglich für 2015 noch einmal eine Erhöhung von 1,5 Prozent vorsieht. Wie damit der Schienenpersonennahverkehr durch die Länder zukunftsfest finanziert werden soll, bleibt jedoch unklar. Da das Gesetz zustimmungspflichtig ist provoziert der Bund mit seinem Gegenentwurf ein Vermittlungsverfahren.

Neben den Regionalisierungsmitteln ist auch die Zukunft weiterer wesentlicher ÖPNV-Finanzierungssäulen gefährdet: Die Entflechtungsmittel (ca.1,3 Mrd. Euro) und die Mittel aus dem Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz (ca. 333 Mio. Euro), die seit Jahrzehnten erfolgreich für die Verbesserung der kommunalen Verkehrsinfrastruktur eingesetzt werden, enden im Jahr 2019, dringend notwendige Anschlussregelungen sind vielfach versprochen, bisher aber nicht in Sicht.

Schon heute sind diese Mittel durch bereits angemeldete Projekte der Verkehrsunter-nehmen um das Mehrfache überzeichnet. Die kommunalen Verkehrsunternehmen haben deshalb bereits zahlreiche aktuelle Projekte zum Aus- und Neubau sowie zur Erneuerung ihrer Haltestellen, Fahrzeuge und technischen Anlagen auf Eis gelegt. Die unentschiedene Finanzierung führt bereits zum Sanierungs- und Modernisierungsstau.

dpa-Meldung zur Anrufung des Vermittlungsausschusses

Quelle: Ministerium für Verkehr und Infrastruktur